Kongress-Nachlese
Am 16. Juni fand im Festsaal der Universität Wien wie in der letzten Ausgabe angekündigt, der 6. Humanitarian Congress Vienna statt. Impulsreferate aus Politik und Wissenschaft sowie international besetzte Diskussionspanels kreisten diesmal unter dem Titel ‚non negotiable‘ um den humanitären Imperativ und die humanitären Prinzipien, die in einem Spannungsfeld der auf Krisen und Konflikte wirkenden Interessen unter Druck kommen. In der Folge nur einige Blickwinkel der vielschichtig diskutierten Themen:
Allen Menschen muss nach dem Maß ihrer Not geholfen werden, alle sind dabei gleich zu betrachten. Dieses Prinzip gerät immer wieder zwischen Interessen von kämpfenden Parteien und politischen Interessen, seien es lokale, nationale oder internationale. Nur ihre Neutralität ermöglicht es den Helferinnen und Helfern, Zugang zu Menschen in Not zu bekommen, egal wo in einem Konfliktgebiet diese Menschen sind oder welcher Gruppe sie zugehören. Dafür muss mit allen kämpfenden Parteien laufend Dialog gehalten werden. Das wird oft missverstanden, doch die Neutralität muss als notwendige Arbeitsmethode betrachtet werden, auch in schwierigsten Konfliktregionen zu arbeiten. Denn alle sollten die Hilfe erhalten, die sie brauchen.
Das verdeutlicht aber auch die Grenzen der humanitären Hilfe: Sie konzentriert sich darauf, Leid auf allen Seiten eines Konfliktes zu verringern. Sie wird die Ursachen des Leids nicht beseitigen. Im Rahmen der Diskussion wurde hier der sogenannte Nexus-Ansatz betont: Hilfsgelder nicht nur für die Nothilfe, sondern immer in Kombination auch für Entwicklung und Friedensschaffung verwenden. Generelle Einigkeit herrschte, dass die großen Lösungen durch die Politik geschaffen werden müssen.
Ist manche Not gleicher? Politik und Medieninteresse beeinflussen die Höhe der Hilfsgelder für die jeweiligen Krisen. Die staatlichen und EU-Geldgeber für humanitäre Hilfe bemühen sich systematisch, auch Hilfe in vergessenen Krisen zu finanzieren, und die Hilfe für andere nicht zu reduzieren, wenn eine große Krise wie beispielsweise 2022 der Konflikt in der Ukraine aufwallt, hieß es im Rahmen der Diskussionen. Dennoch sieht man im Ergebnis eine starke Ungleichverteilung der Mittel. Während die Hilfe für die Ukraine gut mit Mitteln ausgestattet ist, bekommen andere Krisen, die ebenso darauf angewiesen sind, viel zu wenig. Denn die Gelder fließen dorthin, wo politische oder Medieninteressen liegen. Die Vertreter_innen der Hilfsorganisationen auf den Panels betonten hier die Wichtigkeit von Geldern ohne Zweckwidmung, sodass sie die Gelder schnell und flexibel auf Basis der Not von Menschen disponieren können.
Das Thema Lokalisierung zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen: Ein dringendes Anliegen aller und dennoch in der Umsetzung weit hinter Plan. Lokale Organisationen und Strukturen verstehen die lokale Situation besser und haben in schwer zugänglichen Konfliktregionen manchmal bessere Möglichkeiten des Zugangs. Gerade dann ist es aber oft auch schwierig für sie, unparteilich allen Menschen in Not zu helfen. In Vorsorge, langfristiger Entwicklung und Friedensarbeit könnten sie nachhaltiger und effektiver für ihre Bevölkerung da sein als internationale Strukturen. Dennoch fließen die Gebergelder immer noch eher an internationale Organisationen, die dann zwar lokalen Partnern die Umsetzung übergeben, jedoch selbst gegenüber Gebern für Finanzabrechnungen und Erfolgsmessung geradestehen. So werden Entscheidungsmacht und -verantwortung eben nicht abgegeben. Hier gibt es für alle Akteure noch viel zu tun.
Das letzte Panel des Tages hatte Hunger als Kriegswaffe zum Thema. Aushungern als nur eine, stellvertretend für verschiedenste, unmenschliche und durch Internationales Humanitäres Recht (IHL) verbotene Vorgangsweisen – von sexueller Gewalt bis hin zu Zerstörung von Infrastruktur, die für die Versorgung der Zivilbevölkerung nötig ist, wie erst kürzlich durch die Dammsprengung in der Ukraine. Einhaltung des gegebenen Rechts stärken; das Recht laufend verbessern, vor allem aber auch die Sanktionierbarkeit – entsprechende Gerichtsurteile – müssten verbessert werden. Es ist eine Verpflichtung der Staaten, hier auf andere Staaten effektiv Einfluss zu nehmen. Die humanitären Helfer_innen, wenn sie den nötigen Zugang haben, müssen hier dem humanitären Imperativ folgen und Hilfe leisten. Die notwendigen Lösungen – Frieden! – wie schon zu Anfang gesagt, können meist nur politisch geschaffen werden.
Martina Schloffer ist Stellvertretende Bereichsleiterin Einsatz und Internatnionale Zusammenarbeit beim ÖRK .