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29/03/2019
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Aleppo nach dem Erdbeben – ein Konglomerat aus allem bisher Erlebten

Was ich bei meinem Einsatz nach dem Erdbeben in der syrisch-türkischen Grenzregion sehe, übersteigt in seiner Tragik alles bisher Erlebte. Aleppo ist eine zerstörte Stadt – ein großer Teil der Verwüstung ist auf den Krieg zurückzuführen, die noch intakten Gebäude hat das Beben nun ebenfalls dem Erdboden gleichgemacht. In der Stadt herrscht großes Leid und Hoffnungslosigkeit. Die Menschen sind zutiefst traumatisiert. Bei jedem Nachbeben verbringen sie die Nacht im Freien. Jetzt steigen die Temperaturen, aber nach dem Erdbeben am 6. Februar hatten wir in den darauffolgenden Nächten Minusgrade und ich sah Kinder – barfuß und nur im Pyjama bekleidet – weinend alleine am Straßenrand sitzen.

Im Großraum Aleppo sind in etwa Hunderttausend Menschen obdachlos. Die Menschen haben einfach alles verloren und stehen vor dem Nichts. Es gibt kein Trinkwasser. Die nicht geborgenen Toten unter den Trümmern der Häuser haben bereits das Grundwasser verschmutzt. Wenige Wochen nach dem Beben gibt es schon Hunderte von bestätigten Cholera-Fällen. Die medizinische Versorgung liegt im Argen. Den Spitälern fehlt es an Ärzten, Medikamenten und medizinischem Material. Die Preise auf den Märkten sind explodiert. Die Menschen bräuchten dringend internationale Hilfe, doch bis auf den Weg über Damaskus sind alle Zufahrtswege blockiert und seit der Bombardierung des Flughafens ist auch die Luftbrücke wieder geschlossen.

Jugend Eine Welt-Nothilfekoordinator Wolfgang Wedan verschafft sich einen Überblick in der zerstörten Stadt Aleppo, um Hilfsmaßnahmen in die Wege leiten zu können. © Jugend eine Welt

Die Arbeit unserer ProjektpartnerInnen vor Ort beeindruckt mich zutiefst. Wir helfen mit Notunterkünften, der Ausgabe von Essen, Decken, Kleidung und Medikamenten. Sowohl die Don Bosco Schwestern, als auch die Salesianer Don Boscos, haben ihre Einrichtungen sofort für die Schutzsuchenden geöffnet und stellen tagtäglich ihre menschlichen Grundbedürfnisse wie Schlaf oder Essen hintan. Sie sind rund um die Uhr für die betroffene Bevölkerung da. Sie geben einfach alles, was gerade zur Verfügung steht, an die Bedürftigen weiter – auch das, was sie eigentlich für sich selbst brauchen würden. Die Schwestern haben nicht einmal die Zeit, sich kurz zum Essen niederzusetzen. Denn ständig läutet es an ihrer Türe. Wieder bitten verängstigte Menschen um Hilfe. Du hilfst und wenn du ein Lächeln geschenkt bekommst, dann gibt dir das die nötige Kraft um weiterzumachen. Die Region ist von den unterschiedlichsten Konflikten geprägt, doch bei uns finden sich alle Menschen ein – egal welcher religiösen Konfession sie angehören.

Die tägliche Nahrungsmittelausgabe ist für die Helfer belastend, denn die gelieferten Lebensmittel reichen lange nicht für alle hungrigen Menschen. © Jugend eine Welt

Auch ich selbst bekomme die unübersichtliche politische Lage der Region zu spüren. Auf meiner Fahrt von Damaskus nach Aleppo muss ich an der vom Islamischen Staat kontrollierten Stadt Idlib vorbei und halte beim Durchqueren der etwa 20 Kilometer langen Gefahrenzone die Luft an. Regierungsfreundliche wie -kritische Gruppierungen, die von den unterschiedlichen Weltmächten unterstützt werden, versuchen mich immer wieder auszuhorchen und ich muss auf der Hut sein. Hier in Aleppo erlebe ich das komplette Konglomerat aus furchtbarer Not und ständiger Gefahr, aber auch aus selbstloser Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit.

Wolfgang Wedan studierte Risiko- und Katastrophenmanagement in Wien. Der gebürtige Steirer (Voitsberg) war u.a. nach Erdbeben in Algerien (2003), Marokko (2004), Indonesien (2009), Haiti (2010), Nepal (2015) und Ecuador (2016) vor Ort in führenden Positionen im Einsatz. Auch nach dem verheerenden Tsunami, der Sri Lanka im Jahr 2004 traf, war Wedan mit seiner Expertise gefragt. Seit März 2022 koordinierte er von der Republik Moldau aus die Ukraine-Nothilfe von Jugend Eine Welt und unterstützte zuletzt die Partner der Hilfsorganisation nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet.

© Jugend eine Welt