Erst kommen die kleinen Beine des Babys durch die Schlaufen, dann die Arme. Die CARE-Krankenpflegerin überprüft, ob das Baby sicher im Gurt hängt, dann hängt sie den Gurt mit dem Jungen an den Haken der Waage. Er baumelt hin und her während sie abliest, wie viel er wiegt. Immer noch zu wenig. Als nächstes führt sie ein Messband um seinen Oberarm. Ich sehe, dass er mit 12,9 cm im gelben Bereich liegt. Akute Unterernährung. Die CARE-Helferin erzählt mir, dass er vor ein paar Wochen noch bei 12,1 cm war. Sie gibt Ali eine spezielle Paste, die ihm hilft und stärkt. Für mich ist es immer besonders schwierig zuzusehen, wie die unterernährten kleinen Kinder gewogen werden. Sie sind so jung, gerade erst geboren und kämpfen schon um ihr Leben. Seine Mutter Mariam* erzählt mir, dass sie an manchen Tagen gar nichts essen, an anderen reicht das Geld für ein wenig Brot. Mariam ist sehr dankbar, dass sie mit ihrem Sohn zur mobilen Gesundheitsstation von CARE kommen kann und dass ihm jemand hilft, da sie sonst keine anderen Möglichkeiten hat.
Es gibt kein Gesundheitszentrum in der Nähe, das nächste Krankenhaus ist zu weit weg. Das ist keine Seltenheit. In vielen ländlichen Gebieten von Afghanistan sind die mobilen Gesundheitsangebote von CARE die einzige Anlaufstelle für Frauen. Das CARE-Team ist sechs Tage pro Woche im Einsatz, immer an anderen Standorten. Ich bin ganz beeindruckt von diesem Pragmatismus. Es braucht nicht viel, um eine funktionierende Gesundheitsversorgung aufzubauen. Es braucht nur ein paar Räumlichkeiten und einen schattigen Ort für die Wartenden. Der Rest, wie die Medikamente und die Waage, passt in den Kofferraum eines Autos.
Großer Bedarf
Heute ist das mobile Zentrum etwa eine Stunde von Kabul entfernt. Als ich durch das erste Tor laufe, stehe ich auf einem großen Innenhof. Eine Plastikplane spendet den vielen Frauen, die darauf warten, mit dem CARE-Ärzteteam zu sprechen, Schatten. Vor der ersten Anlaufstelle hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Kinder rennen spielend umher. Die Frauen in langen blauen Burkas sitzen geduldig auf dem staubigen Boden. Der Arzt spricht mit ihnen, verteilt Medikamente oder weist sie zu anderen Stationen der Einrichtung, wie etwa der Unterernährungsstation, oder zu einer CARE-Helferin, die Schwangere untersucht und berät, zu einer Psychologin oder Impfstelle. Am Tag werden hier ungefähr 200 Patient:innen versorgt. Zu wenig. Der Bedarf ist so groß, dass bis zu 1.000 an einem Tag versorgt werden müssten.
Ich schaue mir die langen Schlangen an wartenden Frauen an und sehe, wie immer mehr durchs Tor auf den Innenhof kommen. Ich frage, was passiert, wenn mehr als 200 kommen. Die Antwort ist eindeutig: Sie müssen wieder nach Hause geschickt werden und in der nächsten Woche zurückkommen. Als ich vor dem Gebäude mit der Schwangerenversorgung warte, erinnere ich mich an eine Statistik, die ich gelesen hatte. Etwa alle zwei Stunden stirbt eine Frau in Afghanistan während der Schwangerschaft oder Geburt. Während ich mich umsehe, sehe ich mindestens drei Schwangere, die in der Schlange warten. Hier bekommen die Frauen die Versorgung, die vielen Frauen in Afghanistan verwehrt wird.
Dialog ohne Worte
Während ich warte, kommen mehrere Frauen in ihren Burkas zu mir und sprechen mit mir auf Paschtu. Ich verstehe sie leider nicht. Eine Frau zeigt auf ihre Hüfte und tut so, als würde sie etwas Schweres heben. Eine zweite Frau zeigt auf ihre kleine Tochter und hält ihr ein Auge zu und schüttelt verzweifelt den Kopf. Eine dritte Frau hält sich den Bauch und zeigt dabei auf ihr Neugeborenes, welches sie im Arm hält. Das einzige Wort, das mir in dem Moment einfällt, ist Nome (Name in Deutsch) und ich zeige auf die Kinder. Die Frauen versuchen mir beizubringen, wie ich die Namen richtig ausspreche und lachen, weil es nicht gut klappt. Dann hebt eine nach der anderen ihre Burka hoch und wir sprechen weiter, von Angesicht zu Angesicht. Für mich ist das ein ganz besonderer Moment, den ich nie vergessen werde. Kommunikation und gegenseitiges Verständnis geht auch ohne Worte. Die Frauen, die mit mir gesprochen haben, sind dann alle eine nach der anderen zum CARE-Gesundheitsteam gegangen, um Hilfe, Beratung und Medikamente gegen ihr Hüftproblem, für die Augenentzündung der Tochter und für ihre Schwangerschaft zu bekommen.
Sarah Easter ist Kommunikationsspezialistin mit Sitz in Berlin. Sie arbeitet als Emergency Communications Officer für CARE Österreich und Deutschland und konzentriert sich auf die Sammlung von Kommunikationsinhalten und die Unterstützung der CARE-Büros auf der ganzen Welt bei der Nothilfe. Über ihre Arbeit für eine Kommunikationsagentur und im Bundestag ist sie im November 2021 zu CARE gekommen. Sie hat in humanitären Kontexten wie Somalia, Äthiopien, Afghanistan und der Ukraine gearbeitet.